Schenkungen des Erblassers

Hat der Erblasser zu seinen Lebzeiten Schenkungen gemacht, kann unter den Voraussetzzungen des § 2325 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) Ergänzung des Pflichtteils verlangt werden.

§ 2325 BGB regelt Folgendes:

(1) Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.

(2) Eine verbrauchbare Sache kommt mit dem Werte in Ansatz, den sie zur Zeit der Schenkung hatte. Ein anderer Gegenstand kommt mit dem Werte in Ansatz, den er zur Zeit des Erbfalls hat; hatte er zur Zeit der Schenkung einen geringeren Wert, so wird nur dieser in Ansatz gebracht.

(3) Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, so beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe.

Hat also der Erblasser noch zu Lebzeiten Vermögenswerte an andere verschenkte und dadurch – bewusst oder unbewusst - den Pflichtteilsanspruch dadurch geschmälert bzw. vollständig ausgehöhlt, dann hat der Pflichtteilsberechtigte gemäß § 2325 BGB einen sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Wer kann Pflichtteilsergänzung verlangen?

Jeder enterbte Pflichtteilsberechtigte ist auch pflichtteilsergänzungsberechtigt.

Aber auch dem – gesetzlichen oder testamentarischen – Erben und dem Vermächtnisnehmer kann eine Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehen. Es genügt, dass der Erben im Falle einer fiktiv unterstellten Enterbung zum Kreis pflichtteilsberechtigten Personen gehört.

Ergänzungsberechtigt ist selbst der Alleinerbe, der dann allerdings nur den Beschenkten gemäß § 2329 I 2 BGB in Anspruch nehmen kann.


Beispiel 1

Witwer W hat seinen einzigen Sohn S zum Alleinerben eingesetzt. Der Nachlass besteht aus einem verrosteten Pkw und ist wertlos. Wenige Monate vor seinem Tod hat W seiner Freundin F 50.000 EUR geschenkt.

S hat gegenüber F einen Ergänzungsanspruch in Höhe von 25.000 EUR.


Beispiel 2

Witwer W hat seine einzige Tochter enterbt und statt dessen seine Lebensgefährtin L zur Alleinerbin bestimmt. Der Nachlass beläuft sich auf 120.000 €. Ein halbes Jahr vor seinem Tod hat W der L 20.000 € geschenkt.

T hat eine Pflichtteilsquote von 1/2. Daraus errechnet sich ein Pflichtteil von 120.000 € x ½ = 60.000 €.
Rechnet man die Schenkung zum Nachlass hinzu, wie es das Gesetz verlangt, ergäbe sich ein fiktiver Nachlass von 120.000 € plus 20.000 € = 140.000 €. Der 1/4-Pflichtteil von T beliefe sich dann auf 140.000 € x ½ = 70.000 €.

T hat also zusätzlich zum Pflichtteilsanspruch in Höhe von 60.000 € noch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von 70.000 € - 60.000 € = 10.000 €.
Insgesamt ergibt dies einen Zahlungsanspruch gegenüber L von 70.000 €.


Welche Schenkungen führen zum Anspruch auf Pflichtteilsergänzung?

Schenkungen im Sinne des Gesetzes sind freigebige Zuwendungen des Erblassers an eine dritte Person, für die entweder keine Gegenleistung erfolgt oder nur eine geringere Gegenleistung, die den Wert des Geschenks nicht erreicht (sogenannte gemischte Schenkung).

Folgende Schenkungen können Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen:

  • Geldgeschenke
  • Schenkungen Grundstücken unter Vorbehalt des lebenslangen Nießbrauch oder gegen eine Pflegeverpflichtung
  • ehebedingte Zuwendungen zwischen Ehepartnern
  • Schenkung von Betriebsvermögen
  • Zuwendung einer Lebensversicherung

Beispiel

Witwe W verstirbt. Ihren Sohn S hat sie zum Alleinerben bestimmt. Die Tochter T wurde nicht bedacht und damit enterbt, ist also pflichtteilsberechtigt.S hat beim Erbfall aufgrund seiner Benennung als Bezugsberechtigter weitere 70.000,-- € aus einer Lebensversicherung erhalten.

Der Pflichtteil der T wird nur aus dem Nachlass ohne die Lebensversicherungssumme berechnet.
Wegen der zusätzlichen Schenkung der Lebensversicherungssumme, die am Nachlass vorbei zugewandt wurde, hat S einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auf Basis des Rückkaufswerts zum Zeitpunkt des Erbfalls.


Keine Schenkungen iSv. § 2325 BGB sind z.B.

  • Anstandsschenkungen (z. B. Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke) oder Pflichtschenkungen i.S.d. § 2330 BGB
  • Pflichtschenkungen

Eine Pflichtschenkung liegt z.B. vor, wenn der Erblasser das halbe Familienheim an die ansonsten unversorgte Ehefrau überträgt wegen ihrer langjährigen unbezahlten Mitarbeit im Geschäft.

Sind Fristen zu beachten?

Für alle gilt das sogenannte "Abschmelzungsmodell" des § 2325 Abs. 3 BGB. Schenkungen werden innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in voller Höhe, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils 1/10 des Wertes weniger berücksichtigt.

Sind 10 Jahre seit der Leistung des geschenkten Gegenstands verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt.


Beispiel

Der Erblasser verschenkt eine Immobilie im Werte von 300.000 € an eines seiner Kinder.

Verstirbt er innerhalb eines Jahres nach der Schenkung, wird für den Pflichtteilsergänzungsanspruch der volle Wert der Immobilie in Ansatz gebracht, also 300.000 €.

Verstirbt der Erblasser im zweiten Jahr nach der Schenkung, so kommen nur noch 270.000 €, im dritten Jahr 240.000 €, im vierten Jahr 210.000 € usw. in Ansatz.

Überlebt der Erblasser die Schenkung länger als 10 Jahre, so bleibt diese völlig unberücksichtigt. Ein Ergänzungsanspruch besteht nicht.


Bei Schenkungen des Erblassers an seinen Ehegatten kommt es auf die Zehnjahresfrist nicht an: Der Gesetzgeber ordnet nämlich in § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB, dass bei Schenkungen an den Ehegatten die Zehn-Jahres-Frist erst mit Auflösung der Ehe (durch Tod oder Ehescheidung) zu laufen beginnt.

In der Praxis führt dies dazu, dass sämtliche Schenkungen während der Ehezeit an de Ehegatten, mögen diese auch Jahrzehnte zurückliegen, im Rahmen des Pflichtteilsrechts ergänzungspflichtig sind.


Welche Frist gilt für eine Schenkung unter Vorbehalt von Rechten?

Nach dem Gesetz beginnt die 10-Jahres-Frist erst zu laufen, wenn der Erblasser geleistet hat.

Eine "Leistung" des geschenkten Gegenstands i.S.d. § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB liegt nach der Rechtsprechung jedoch nicht schon dann schon vor, wenn der Erblasser seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt und z. B. der Beschenkte im Grundbuch als neuer Eigentümer der Immobilie eingetragen wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird erst dann geleistet, wenn der Schenker auch die wirtschaftlichen Folgen seiner Schenkung spürbar trägt, indem er den Genuss des verschenkten Gegenstandes vollständig aufgegeben hat ("Genuss-Rechtsprechung") und nicht mehr Herr im eigenen Hause ist.

In den Fällen, in denen sich der Schenker den Nießbrauch an der gesamten verschenkten Immobilie vorbehalten hat, liegt kein Genußverzicht vor. Die 10-Jahres-Frist beginnt nicht mit der Umschreibung im Grundbuch zu laufen. Ein Pflichtteilsanspruch besteht auch Jahrzehnte nach einer solchen Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt.

Beim Vorbehalt eines Wohnungsrechts hat der BGH in seinem Urteil vom 29.06.2016 (VI ZR 474/15) im Jahr 2016 entschieden:

„Ob auch ein vorbehaltenes Wohnungsrecht wie ein Nießbrauch den Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 BGB hindern kann, lässt sich nicht abstrakt beantworten. Zwar unterscheiden sich Nießbrauch und Wohnungsrecht voneinander. So ist der Nießbraucher insbesondere berechtigt, die Nutzungen der Sache zu ziehen (§ 1030 Abs. 1 BGB). Bei einem Wohnhausgrundstück kommt namentlich dessen Vermietung in Betracht. Ferner kann der Nießbrauch zwar nicht übertragen, wohl aber seine Ausübung einem anderen überlassen werden (§ 1059 BGB). Demgegenüber stellt das Wohnungsrecht lediglich eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit gemäß § 1093 Abs. 1 BGB dar, durch die der Berechtigte das Recht erhält, ein Gebäude oder einen Teil desselben unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu nutzen. Die Ausübung dieser Dienstbarkeit kann einem anderen nur überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Dies bedeutet aber nicht, dass nicht auch - in Ausnahmefällen - bei der Einräumung eines Wohnungsrechts der Beginn des Fristablaufs gemäß § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein könnte. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Die entscheidenden Grundsätze hat der Senat in seinem Urteil vom 27. April 1994 (IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395) aufgestellt. Hiernach gilt eine Schenkung nicht als im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB geleistet, wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss (aaO 398). Eine Leistung liegt vielmehr nur vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen."