Strategien zur Minimierung des Pflichtteils
Der Pflichtteil kann sowohl in „guter“ wie in „böser“ Absicht reduziert werden.
Die Nachlassplanung gestaltet sich insbesondere dann besonders schwierig, wenn das zu vererbende Vermögen vor dem Zugriff des gesetzlich erb- und pflichtteilsberechtigten "Sorgenkinds" geschützt werden soll, vor dem Zugriff seiner Gläubiger oder vor dem Zugriff des Staats (Hartz IV, Sozialhilfe, Bürgergeld).
Grundlagen
Testierfreiheit
Die Testierfreiheit ist ein wichtiger Grundsatz des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dem Erblasser steht es grundsätzlich frei, nach Belieben über seinen Nachlass zu bestimmen und festzulegen, wer sein Erbe sein soll. Diese Freiheit wird jedoch durch das Pflichtteilsrecht der nächsten Angehörigen begrenzt.
Pflichtteil
Eine Mindestbeteiligung der nächsten Angehörigen am Nachlass sehen nahezu sämtliche europäische Rechtsordnungen vor (Noterbrecht, family provision). Nach deutschem Recht steht dem Pflichtteilsberechtigten im Fall seiner Enterbung gemäß § 2303 BGB ein mit dem Erbfall entstehender, sofort fälliger Zahlungsanspruch gegen den oder die Erben zu.
Entziehung Pflichtteil
Eine gänzliche Pflichtteilsentziehung ist nur unter den strengen formalen und inhaltlichen Anforderungen der §§ 2333–2336 BGB möglich, die nur in den seltensten Fällen zum Tragen kommen.
Pflichtteil als Störfaktor
Vielfach besteht der Wunsch des Erblassers, einen Abkömmling aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen von der Erbfolge auszuschließen, ohne dadurch einen schuldrechtlichen Zahlungsanspruch des Erben zu begründen.
Pflichtteilsansprüche stellen insbesondere bei der Unternehmensnachfolge und ganz besonders bei der Nachfolgeplanung für Familienunternehmen einen Störfaktor dar, weil durch den Liquiditätsentzug der Fortbestand des Unternehmens gefährdet wird.
Vergleichbare Zahlungsschwierigkeiten können ferner in Fällen entstehen, in denen der Erblasser als wesentlichen Vermögensbestand eine Immobilie einem seiner Abkömmlinge hinterlässt und sein Restvermögen nicht ausreicht, um die Pflichtteilsansprüche der übrigen Abkömmlinge und des Ehegatten zu bedienen. Dann muss die Immobilie unter Umständen verkauft werden, um die Pflichtteilsansprüche erfüllen zu können.
Eltern von Sozialleistungsbeziehern (ALG II, Hartz IV, Bürgergeld) wollen das bedürftige Kind am Vermögen teilhaben lassen, ohne dass dies Einfluß auf die Leistungen der öffentlichen Hand hat.
Vor diesem Hintergrund spielen Strategien zur Vermeidung oder Minimierung von Pflichtteilsansprüchen eine große Rolle.
Lebzeitige Übertragung
I. Verkauf
Die lebzeitige Vermögensübertragung ist wohl das wirkungsvollste Mittel zur Minimierung von Pflichtteilsansprüchen. Vereinfacht ausgedrückt: wer zu Lebzeiten Vermögen hergibt, hinterlässt entsprechend weniger Nachlass und hat im Erbfall nicht selten keinen nennenswerten Nachlass mehr. Der Pflichtteil am Nachlass im Wert von 0 € ist wertlos, nämlich ebenfalls 0 €.
Achtung: Wenn Vermögen verschenkt wird, hat der übergangene Pflichtteilsberechtigte u. U. einen sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch. Ob der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten mit der Schenkung benachteiligen wollte, spielt für diesen Anspruch keine Rolle.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist jedoch zeitlich begrenzt (10-Jahres-Frist). Erfolgte die Schenkung also länger als 10 Jahre vor dem Erbfall, kann der Pflichtteilsberechtigte nichts verlangen, es sei denn, die Schenkung erfolgte unter Vorbehalt eines Nießbrauchs.
Wenn das Vermögen (meistens eine Immobilie) aber nicht verschenkt, sondern verkauft wurde - egal ob an Dritte oder Angehörige - geht der Pflichtteilsberechtigte leer aus.
II. Ausstattung
Handelt es sich bei der lebzeitigen Übertragung z. B. eines Bauplatzes oder einer Immobilie um eine Ausstattung nach § 1624 BGB, besteht kein Pflichtteilsergänzungsanspruch. Eine Ausstattung ist dasjenige, was einem Kind mit Rücksicht auf seine Verheiratung, auf seine Begründung einer Lebenspartnerschaft oder auf die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung zur Begründung oder zur Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung von dem Vater oder der Mutter zugewendet wird.
Allerdings hat die Ausstattung zwingend eine pflichtteilsrelevante Ausgleichung unter Abkömmlingen zur Folge, die auch noch nach Ablauf der 10-Jahresfrist die Pflichtteilsansprüche der nicht bedachten Abkömmlinge erhöht. Die Ausstattung mag im Einzelfall als Mittel der Wahl sein, ist es aber nicht immer. Denn der Vorteil der Ausstattung bei der Pflichtteilsergänzung wird um den Preis der unbefristeten Pflichtteilserhöhung der anderen Abkömmlinge erkauft.
III. Pflichtteilsverzicht
Der Pflichtteilsverzicht des zu enterbenden Abkömmlings stellt den wirkungsvollsten Weg zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen dar. Der Pflichtteilsberechtigte wird hierzu aber regelmäßig gar nicht oder nur gegen eine angemessene Gegenleistung bereit sein.
Achtung: der Pflichtteilsverzicht ändert nichts an der gesetzlichen Erbfolge. Der Pflichtteilsverzicht muss daher begleitet werden von einem Testament, mit dem der Verzichtende enterbt wird. Ohne Testament geht der Pflichtteilsverzicht ins Leere.
Der Erbverzicht, der den Pflichtteilsverzicht miteinschließt, ist meist kein geeignetes Gestaltungsinstrument. Denn der Erbverzicht hat zur Folge, dass sich die Pflichtteilsquote der anderen Angehörigen erhöht, was in der Regel nicht gewünscht wird. Der Erbverzicht führt eher zu einer Umverteilung der Pflichtteilsansprüche bei gleichbleibender Pflichtteilslast.
IV. Güterrechtliche Vereinbarungen
1. Wenn der (künftige) Erblasser verheiratet ist, beeinflusst die Wahl des Güterstandes die Pflichtteilsquote des Ehepartners und seiner Abkömmlinge. Je nachdem, ob der Erblasser den Pflichtteil seiner Abkömmlinge oder den Pflichtteil seines Ehepartners beschränken möchte, ist der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft oder der Güterstand der Gütertrennung vorzuziehen. Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft wirkt sich pflichtteilsrechtlich zulasten der Abkömmlinge des Erblassers aus. Der Güterstand der Gütertrennung ist in der Regel nachteilig für die Pflichtteilsansprüche des Ehegatten des Erblassers.
2. Modifikation des gesetzlichen Güterstands
Die Ehegatten können den Zugewinnausgleich für den Fall der Scheidung der Ehe ausschließen. Diese Modifikationen des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft bietet sich an, wenn die Ehegatten an sich Gütertrennung bevorzugen und nur im Interesse der Pflichtteilsreduzierung die Zugewinngemeinschaft vorzuziehen wäre.
3. Wechsel in den Güterstand der Gütertrennung
Wenn zur Minimierung des Pflichtteils von Abkömmlingen Vermögen auf den Ehepartner übertragen werden soll, kann der Wechsel vom gesetzlichen Güterstand des Zugewinnausgleichs in den Güterstand der Gütertrennung sinnvoll sein. Voraussetzung ist, dass einer der Ehegatten einen deutlich höheren Zugewinn als sein Ehepartner erzielt hat. Bei der Beendigung der Zugewinngemeinschaft entsteht dann eine Zugewinnausgleichsforderung. In Erfüllung dieser Forderung kann Vermögen auf den anderen Ehepartner übertragen werden. Hierbei handelt es nicht um eine Schenkung, die einen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Abkömmlinge zur Folge hätte.
4. Doppelter Güterstandswechsel („Güterstandsschaukel“)
Der bloße Wechsel von der Zugewinngemeinschaft in den Güterstand der Gütertrennung hat aus pflichtteilsrechtlicher Sicht den Nachteil, dass die Gütertrennung die Pflichtteilsquoten der Abkömmlinge erhöhen kann. Um diesen Nachteil zu vermeiden, können die Ehegatten nach einiger Zeit wiederum in den Güterstand der (modifizierten) Zugewinngemeinschaft zurückwechseln (Güterstandsschaukel).
Achtung: Wenn die Ehegatten durch den Güterstandswechsel ausschließlich die Minimierung des Pflichtteils beabsichtigen, geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Wechsel der Verfolgung ehewidriger Zwecke dient. Die kurze zeitliche Abfolge von zwei Güterstandswechseln kann ein entscheidendes Indiz hierfür sein. In diesem Fall ist nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung die Voraussetzungen für eine Zugewinnausgleichsforderung - wegen eines vorgefassten Gesamtplanes der Ehegatten zu Lasten der Abkömmlinge - verneint und eine Schenkung annimmt, die wiederum einen Pflichtteilsergänzungsanspruch des Abkömmlings zur Folge hätte.
Gerade bei einer zeitlichen Nähe der Rückkehr von der Gütertrennung in die Zugewinngemeinschaft ist daher darauf zu achten, die konkreten Gründe für die Rückkehr in den gesetzlichen Güterstand im Vertrag darzulegen, um den Verdacht der Verfolgung ehewidriger Zwecke auszuräumen.
V. Hinzutreten weiterer Pflichtteilsberechtigter
Die Pflichtteilslast lässt sich auch dadurch reduzieren, dass weitere Pflichtteilsberechtigte hinzutreten, zB durch Heirat/Verpartnerung, Geburt weiterer Kinder, Adoption (auch Erwachsenenadoption) oder Anerkennung der Vaterschaft. Dann vermindert sich die Erb- und damit auch die Pflichtteilsquote jedes nahen Angehörigen.
Außerdem können bestehende Erbverzichte aufgehoben werden.
VI. Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten
Schenkt der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten zu Lebzeiten etwas, kann er anordnen, dass der Wert des zugewandten Gegenstandes auf den Pflichtteil anzurechnen ist, § 2315 BGB. Dadurch wird erstens der Wert des Nachlasses und damit die Höhe des Pflichtteilsanspruchs verringert. Zweitens wird durch die Anrechnungsanordnung der (spätere) Pflichtteilsanspruch wertmäßig weiter gekürzt.
Achtung: Die Anrechnungsanordnung ist nur beachtlich, wenn sie vor oder bei der Zuwendung gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten erklärt wurde, damit dieser entscheiden kann, ob er die Zuwendung die Verminderung unter diesen Umständen in Kauf nimmt.
Nachträglich kann der Erblasser die Anrechnung auf den Pflichtteil nicht einseitig angeordnet werden.
VII. Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht
Das Gesetz eröffnet in § 2338 BGB die Möglichkeit der Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht. Der (künftige) Erblasser kann durch ein Testament einen verschwenderischen oder überschuldeten Abkömmling (nicht jedoch den Ehegatten oder die eigenen Eltern) vor sich selbst und seinen Gläubigern zu schützen, ihm unpfändbare Einkünfte zu verschaffen und zugleich das Familienvermögen zu erhalten. Durch ein entsprechendes Testament kann der Erblasser kann dem Abkömmling z. B. den Pflichtteil belassen oder ihm einen Erbteil oder ein Vermächtnis zuwenden. Gleichzeitig verbindet er diese Zuwendung aber mit fürsorgenden Maßnahmen.
Die Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht nach § 2338 BGB führt in der Praxis ein Schattendasein. Das liegt vor allem daran, dass die testamentarischen Beschränkungen schon dann unwirksam sind, wenn sich der Abkömmling zur Zeit des Erbfalls dauernd von dem verschwenderischen Leben abgewandt hat oder die den Grund der Anordnung bildende Überschuldung nicht mehr besteht.
VIII. Überschuldetentestament („Bedürftigentestament“) – das schwarze Schaf
Eltern haben nicht selten ein zumindest leicht graues Schaf unter ihren Abkömmlingen, das auf staatliche Unterstützung in Form von Sozialleistungen (ALG II, Hartz IV, Bürgergeld) angewiesen ist oder über dessen Vermögen bereits ein (Verbraucher-) Insolvenzverfahren läuft oder bevorsteht. Mitunter handelt es sich auch um den Ehepartner, der verschuldet ist. Der Zugriff von Gläubigern auf das Erbe soll in solchen Fällen vermieden werden. Gleichzeitig soll das Kind (oder der Ehepartner) möglichst viele persönliche Vorteile haben.
Würde dieses Kind schlicht enterbt, hätte es einen Pflichtteilsanspruch, den Gläubiger pfänden könnten. Damit wäre nichts gewonnen.
Wird das bedürftige Kind Erbe – aufgrund gesetzlicher Erbfolge, weil es kein Testament gibt - gilt das Subsidiaritätsprinzip: Der Leistungsträger (die öffentliche Hand) greift auf die Erbschaft in der Weise zu, dass die Sozialleistungen bis zum Verbrauch der geerbten Vermögenswerte eingestellt werden. Das Kind hat letztlich nichts vom Erbe. Die Erbschaft würde letztlich nur den Haushalt des Sozialleistungsträgers entlasten.
Das Gestaltungsziel bei Überschuldeten und Bedürftigen im Kreis der Pflichtteilsberechtigten ist vergleichbar mit demjenigen des Behindertentestaments:
- das Nachlassvermögen soll nicht dem Zugriff des Gläubigers unterliegen, sei es im Wege der Zwangsvollstreckung, sei es im Wege des Zugriffs des Insolvenzverwalters, sei es durch Zugriff des Sozialhilfeträgers bei Gewährung öffentlicher Leistungen an das bedürftige Kind
- im Restschuldbefreiungsverfahren während der drei- bis fünfjährigen Laufzeit der Abtretungserklärung („Wohlverhaltensphase”) soll keine Verletzung gegen die Obliegenheiten des Schuldners begangen werden, die zur Versagung der Restschuldbefreiung führen könnten
- das bedürftige Kind soll trotz des Leistungsbezugs soweit am Nachlass teilhaben, als diese Teilhabe keinem Zugriff Dritter unterliegt
- das bedürftige Kind soll nach der Bereinigung seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten, insbesondere nach der Restschuldbefreiung, wirtschaftlich noch weitergehend am Nachlassvermögen teilhaben